Prolog
Packen! Ja, das gilt es heute Abend zu tun. Wobei ‚Packen‘ eigentlich das falsche Wort ist. Seit vielen Jahren habe ich mir diese ‚Eigenheit‘ zugelegt, dass ich für das Reisen Listen schreibe. Und so kommt es, dass es auch für diese geplante Reise schon eine Liste gibt. Die ist schon im letzten Jahr entstanden, als ich etwa zur selben Jahreszeit in Richtung Großglockner aufgebrochen bin.
Also die Liste von damals rauskramen und einfach die darauf aufgeführten Dinge in die Koffer der DSR/X legen, werfen, platzieren … was auch immer. Hautsache rein damit.
Schön ist das jetzt ja schon, dass auf einmal so viel Stauraum, im Vergleich zur SR/F, zur Verfügung steht. Reisen mit einem SUV halt …
Die letzte Amtshandlung für heute Abend ist dann noch die ‚Laderei‘ auf 110% zu starten. „Extended Range“ sagt Zero dazu. Mich sollen diese 110% dann morgen Früh auf kürzestem Weg bis nach Holzkirchen bringen – ab da kann dann der Alpenspaß beginnen.
Tag 1 – Oberpfalz bis Stelvio
Donnerstagmorgen, Maria Himmelfahrt 2024, den Wecker habe ich auf 5:30 Uhr gestellt. Notwendig wäre das nicht gewesen, denn 5 Minuten vorher werde ich von selbst wach. Kann losgehen. Mit einem kleinen ersten Frühstück mit genügend Kaffee und Müsli bringe ich mich selbst auf Betriebstemperatur. Um kurz nach 6 sitze ich dann auf der DSR/X. Die braucht das nicht. Betriebstemperatur ist für die Zero immer und sofort. Nicht weit von zuhause lässt sich dann die Sonne zu einem Morgengruß blicken.
Scheint so, als ob das Wetter die nächsten Tage gut passen wird. Zum Teil sind zwar Temperaturen bis an die 30 Grad vorhergesagt, aber lieber so, als sich auf Regen einstellen zu müssen.
Für die Fahrt bis kurz nach München werde ich die A9 nehmen. Wenn es heute zu Staus kommen sollte, dann in Richtung Norden. Dort gehen aktuell nämlich die Sommerferien zu Ende. Kurz vor der Autobahnauffahrt in Denkendorf lege ich noch einen kurzen Boxenstopp ein. Überflüssiges Betriebsmittel vom Kaffeegenuss von vor 1 Stunde wieder loswerden.
Die warme Luft und die Gewitter der vergangenen Nacht haben faszinierende Nebelschwaden gebildet. Mir kommt es fast so vor, als wären wir durch eine Waschanlage gefahren.
Die Autobahnfahrt bis nach Holzkirchen lasse ich gemütlich auf der rechten Spur angehen. Kein Gehetze, keine Diskussionen wer schneller sein will. Schließlich bin ich auf der Reise und nicht auf der Flucht. Nach 90 Minuten ist dieses Teilstück der Reise dann auch absolviert. Ich hätte fast ’stupides Teilstück‘ geschrieben, aber das war es eigentlich gar nicht. Es war kaum was los und somit war sogar hier die Aussicht zu genießen. Ab kurz nach Ingolstadt waren in der Ferne nämlich schon die Alpen zu erkennen.
Für die Zero gibt es jetzt erst Mal einen kräftigen Schluck von der Pulle. Mit 9% Restkapazität angekommen war das eine Punktlandung. Meiner einer sucht sich ein gemütliches Plätzchen beim Bäcker in Holzkirchen. Zweites Frühstück.
Nach gut einer Stunde, zwei Croissants, Cappuccino und knapp 10 kWh geht es weiter in Richtung Mittenwald.
Den Sylvensteinspeicher lasse ich links liegen, um zur Mautstraße zwischen Vorderriß und Wallgau zu gelangen. Hier an der Isar waren wir als Kinder mit unseren Eltern schon. Damals, vor mehr als 40 Jahren, barfuß durchs Wasser gelaufen, gilt es jetzt erst Mal die Beschilderung zu studieren. Ist noch Schonzeit für irgendwelche Vogelarten? Alles gut, Betreten ist erlaubt.
Nach Mittenwald biege ich rechts in Richtung Leutasch ab. Hier kommt zum ersten Mal richtiges „Berg-Feeling“ auf. Kurven, Steigungen, Weitblicke. Herrlich. Ab der Buchener Höhe wird dann auf einmal die Sicht ins 600 Meter tiefer liegende Inntal frei. Bei Imst geht es rein nach Arzl im Pitztal.
Die Aussicht kurz nach der Pillerhöhe hinunter ins Oberinntal ist beeindruckend. An der Bergkastelseilbahn in Nauders führe ich die DSR/X dann nochmal an die Tränke. Elektronenschubsen ist angesagt.
Aber auch Fahrzeuge mit 2 PS sind hier unterwegs.
Mein Plan war eigentlich, über Glurns und Prad aufs Stilfser Joch zu fahren. Kurz nach Trafoi steht dann aber ein Hubschrauber über der Straße rauf zum Stelvio. Das verspricht nichts Gutes. Irgendwo in der Nähe von Kehre 40 kommt dann auch der gesamte Verkehr zum Stehen. Nichts geht mehr. Nachdem Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei an uns Wartenden vorbeifahren überlege ich mir für die Weiterfahrt die Variante 2 zu nehmen.
Somit kurzerhand umdrehen und wieder zurück nach Prad und Glurns um dort in Richtung Schweiz abzubiegen. Diese Entscheidung scheint ein Glücksfall zu sein, denn gegen 17:30 Uhr bin ich dann nahezu der einzige auf dem Umbrailpass.
Vom Zollhaus am Umbrailpass auf etwa 2500 Meter Höhe geht es nochmal 3,5 Kilometer und 300 Höhenmeter weiter, bis ich oben am Stelvio ankomme. Erwarten würde man es nicht unbedingt, aber hier oben am Stilfser Joch befindet sich die höchste Ladestation Europas. Ich glaube, das ist dann auch tatsächlich der höchste Parkplatz, den man hier oben ergattern kann.
Sollte jemand diese Ladestation suchen: Zu finden ist sie auf der hinteren Seite der Tibet Hütte.
Nicht nur die DSR/X will hier oben verpflegt sein. Für mich gibt es auch was: Bratwurst mit Sauerkraut und Senf im Vinschgerl. Ich fühle mich fast wie daheim. Da wäre heute Kirchweih im Nachbardorf und dort gibt es traditionell auch immer Bratwurst mit Sauerkraut – jedoch mit Brot und auf dem Teller. Aber die 2200 Meter Höhenunterschied, die sind durch nichts zu ersetzen.
Langsam merkt man dann, dass der Abend kommt. Die Schatten am Stilfser Joch werden länger. Für mich geht es heute nur noch bis zur Kehre 22 runter.
Die Erste Nacht auf meiner Reise verbringe ich im Berghotel Franzenshöhe.
Tag 2 – Stelvio bis ‚Irgendwo im Nirgendwo‘
Freitag, 7:30 Uhr. Frühstück. Cool ist das ja schon, wenn man mitten am Berg aufwacht und nach dem Checkout erst mal die verbleibenden 26 Kehren des Stilfser Jochs runterfahren darf.
Wie gestern Abend von der Passhöhe runter bis zum Hotel ist auch heute Früh bis hinunter nach Prad noch nichts los. Gar nichts!
Von Prad bis Naturns ist auf der Straße ziemlich was los. Gefühlt kommt das aber auch vom Verkehr, der durch die Bauern, die die Obstbestände bewirtschaften, verursacht wird. Irgendwie sind die John Deere und Co., die ich auch aus meiner Heimat kenne, hier beim ‚zu heiß Waschen‘ eingegangen. Mir gefällt das Gewusel. Kommt wahrscheinlich auch daher, dass es noch früh am Morgen ist und mir auf meiner Reise nichts, aber auch gar nichts, davonläuft.
Ab Meran scheint dann auf einmal die Straße wie leergefegt zu sein. Das bleibt bis kurz vor Bozen so, wo ich direkt auf das Messner Mountain Museum zufahre und dann dieses auch mittels Tunnel unterquere.
Durch Bozen geht es eigentlich ziemlich zügig durch. Dem Eisacktal folge ich nur ein paar Kilometer, bis es in Blumau rechts auf die Breiener Straße weg geht. Auf einmal bin ich in einer ganz anderen Welt angekommen. Vom Verkehr und dem Gewusel ist nichts mehr zu merken. Hier bin ich so gut wie allein unterwegs. Das kommt wahrscheinlich auch daher, weil die Straße, wegen ihrer engen und zum Teil über 20% steilen Abschnitte, nicht wirklich was für den Durchgangsverkehr ist. Genau richtig für mich auf meiner Reise.
Bis rauf zum Nigerpass überwinde ich in kürzester Zeit mehr als 1000 Höhenmeter. Belohnt wird das Ganze durch eine herrliche Aussichten auf Latemar und Rosengarten.
Einen ersten Stopp mit Lademöglichkeit für die DSR/X lege ich am Liftparkplatz in Karersee ein. Ursprünglich hätte ich mir das Ganze etwas ruhiger vorgestellt, aber scheinbar bin ich heute nicht der Einzige, der den Brückentag nach Maria Himmelfahrt für einen Ausflug in die Berge nutzt.
Ich beobachte das wilde Treiben der Touristen, von einem schattigen Plätzchen unter einem Baum aus. Die Pause tut Körper und Geist gut und wenn das dann auch noch mit so einer faszinierenden Aussicht gekrönt wird, dann glaube ich, habe ich nicht viel falsch gemacht. So lässt es sich leben.
Nach knapp einer Stunde fahre ich weiter zum Lago di Fedaia am Fuß der Marmolada. Die Straße selbst liegt hier auf ca. 2000 Meter Höhe. Auf die Marmolada rauf wären nochmal gut 1300 Meter notwendig – die dann aber zu Fuß oder mit der Seilbahn.
Vom Lago di Fedaia geht es jetzt erst Mal 1000 Höhenmeter nach unten bis nach Caprile. Auch hier ist wieder, im Gegensatz zu San Giovanni die Fassa, durch das ich vor etwa 25 Kilometern gefahren bin, nichts los. Ich frage mich nur, wo die ganzen Autos und Menschenmengen, die sich unten im Tal gesammelt haben, alle geblieben sind.
Kurz nach Caprile geht es links weg nach Selva di Cadore und Rauf auf den Passo di Giau. Ich bin überwältigt von der genialen Landschaft, den super schön zu fahrenden 55 Kehren und wiederum den wenigen Fahrzeugen samt Insassen, die hier unterwegs sind.
Kurz vor dem Pass lässt, bei weiß-blauem Himmel, der Monte Gusela grüßen. Die Bilder können eigentlich kaum vermitteln was die Gegend und das Wetter hier mit einem machen. Das gerade schon verwendete Wort ‚überwältigt‘ passt schon sehr gut.
Am Pass selbst finden sich dann doch wieder die Fahrzeuge, die ich gerade schon ‚vermisst‘ habe. Das macht aber nichts. Mir sagt ja keiner, dass ich ebenfalls dort anhalten muss, wo es alle andere tun. Einfach ein paar hundert Meter weiterfahren und kurz mal am Straßenrand die Landschaft genießen.
So ein faszinierendes Panorama ist nicht alltäglich. Beim Weiterfahren fällt mir ein Fotograf am Straßenrand auf, neben dem ein Schild mit irgendwas zu „… voluto una tua foto in moto?“ steht, und der mit seiner Kamera direkt auf mich zuhält.
Ich denke mir grinsend noch, schau an, da sitzt tatsächlich einer, der die Vorbeifahrenden im Bild festhält. Was es nicht alles gibt. Wieder eingefallen ist mir der Fotograf am Straßenrand dann aber erst, als ich ein paar Tage später zu Hause die von mir selbst gemachten Fotos durchschaue.
Etwas Suche im Internet hat dann doch tatsächlich zwei Fotos von mir zu Tage gefördert, die dieser Fotograf am Straßenrand gemacht hat. Das zweite davon habe ich bestellt, denn dieses spiegelt genau den Gedanken, den ich beim Vorbeifahren hatte, wieder. Genial!
Weiter geht es nach Cortina d’Ampezzo. Hier ist es schon quirliger, belebter, mehr Verkehr. Jetzt bin ich erst mal fern ab der Ruhe, die gerade oben am Passo die Giau noch geherrscht hat.
Macht aber nichts, denn mich hält hier ja auch nichts. Mein Weg führt mich weiter über den Passo Tre Croci, durch Auronzo di Cadore, bis es links über Laggio di Cadore in Richtung Lago die Sauris weitergeht.
In Auronzo di Cadore ist die zweite Pause des Tages fällig. Kaffee muss her, schnell, irgendetwas zum Abkühlen wäre auch nicht schlecht, schnell, und wenn es dann schon passt, dann wäre Strom auch nicht schlecht. Der eilt nicht, denn wir zwei, die DSR/X und ich, wir haben ja schließlich Zeit.
Eine Ladesäule findet sich im Dorfzentrum. Per App freigeschaltet läuft auch der Strom binnen Sekunden. Irgendwie beeindruckt das die beiden jungen Frauen aus Holland, denn die kämpfen längere Zeit mit ihren PlugShare RFID-Chip. Ich versuche zu unterstützen, aber wenn der Chip an dieser Säule nicht will, dann schaut es damit erst mal schlecht aus.
Ein Telefonat mit einem Bekannten hilft den beiden dann weiter. Denn als ich vom Wasservorräte Auffüllen zurückkomme, steckt auch der VW per CCS an der Säule und lädt.
Die Bar Triestina macht für mich genau richtig, pünktlich um 15:30 Uhr auf. Was soll ich sagen, etwas Warmes, etwas Kaltes und ein Glas Wasser. Perfekt!
Die folgenden 60 Kilometer sind genial. Sella Ciampigotto, Sella di Razzo und Sella di Rioda sind sowas von abgelegen. Hier oben, auf um die 1800 Metern Höhe, bin ich fast komplett allein unterwegs.
Das geht so weiter bis Sauris, wo die ‚Fahnenbänder‘ vom Kirchturm noch vom gestrigen Maria Himmelfahrt künden.
Kurz nach Sauris komme ich, 200 Höhenmeter tiefer, am Lago di Sauris vorbei. Hier geht es an der Staumauer links abbiegend weiter in Richtung Ampezzo.
Die Straße entlang der Lumieischlucht verbindet Sauris und Ampezzo. Im ersten Teil führt mich die Strecke durch vier schmale zweispurige Tunnel. Eine Beleuchtung gibt es zwar, das macht das Fahren auf dem gepflasterten und teils feuchten Belag aber nicht wirklich anspruchslos. Bei der Brücke über den Torrente Lumiei, die direkt zwei Tunnel verbindet, halte ich am nördlichen Brückenende auf der ursprünglichen Straße durch die Schlucht.
Auf den letzten vier Kilometern der Strecke bis Ampezzo gibt es dann noch ein paar schön zu fahrende enge Kehren, bis ich dort dann wieder in der Zivilisation ankomme.
Diese letzten 60 Kilometer haben sowas von Spaß gemacht, das muss man sich für eine Wiederholung merken.
Bis Zuglio sind es noch 25 Kilometer. Die Gegend hier kommt mir wie im Süden Italiens vor. Vieles wirkt extrem trocken. Das kann aber auch an den 35°C liegen, die mir das Motorrad an Umgebungstemperatur meldet. Ab Zuglio, in der Zufahrt zu Paularo, schlägt dieses “süditalienische‘ Gefühl schlagartig um. Die Gegend ist wieder grün. Alpenflair ist zu spüren.
In Paularo verlasse ich die gut mit Infrastruktur ausgestattete Umgebung. Die nächsten 18 Kilometer werden mich zum ‚Irgendwo im Nirgendwo‘ führen. Der Passo del Cason die Lanza / Lanzenpass ist eine einspurige Straße, die mich auf 1550 Meter Höhe bringen wird. Am Anfang verläuft der Weg an einem steilen Hang, der nur teilweise mit Geländer gesichert ist. Immer mal wieder erspähe ich schöne Tiefblicke in das links von mir liegende Tal.
Meine Unterkunft für diese Nacht wird die Malga Cason di Lanza / Lanzer Alm sein. So habe ich mir das vorgestellt. Wenn sich dann auch noch das Wetter von seiner schönsten Seite zeigt, dann ist die Welt im ‚Irgendwo im Nirgendwo‘ in Ordnung.
Für um die 70 Euro gibt es hier Übernachtung mit Halbpension im Einzelzimmer. Dusche und WC befindet sich zur gemeinschaftlichen Nutzung am Flur.
Herr des Hauses ist der Hund, der nach dem Abendessen auch einen Knochen von meinen Schweinerippen bekommt.
Ein herrlicher zweiter Tag meiner Reise geht hier oben ohne Mobilfunkempfang und nur notwendigster Stromversorgung per Aggregat zu Ende. Internet gibt es – Elon Musks Starlink macht es möglich – aber nur, bis das Aggregat zur Nachtruhe abgeschaltet wird. Gute Nacht!
Tag 3 – Slowenien und Kärnten
Geweckt werde ich am Samstagfrüh von Wanderern, die schon gegen 6:30 Uhr an meinem Zimmerfenster vorbeigehen. Der Himmel kündigt einen weiteren wunderschönen Tag an. Frühstück gibt es ab 7:30 Uhr, entweder süß oder Wurst und Käse. Ich entscheide mich für die süße Variante.
Der frisch gebrühte Kaffee mit warmer Milch weckt, wie am Tag zuvor die Lebensgeister und somit finde ich mich um kurz nach 8 Uhr bei meiner DSR/X. Kann weiter gehen!
Die bereits gut gefüllten Parkmöglichkeiten zeigen, dass ich für die Verhältnisse der Wanderer scheinbar spät dran bin, aber ohne Frühstück weiterzufahren geht ja gar nicht.
Vom ‚Irgendwo im Nirgendwo‘ führt mich mein Weg erst Mal knapp 50 Kilometer zum Neveasattel. Ich habe mir gestern Abend keine großen Gedanken zum Ladestand der ZERO gemacht. Ein kurzer Stopp auf meinem weiteren Weg wird den aktuell noch auf etwa 50% gefüllten Akku wieder so weit laden, dass ich mir auf der Fahrt durch Slowenien keine weiteren Gedanken bzgl. Lademöglichkeiten machen muss. Laden wird überbewertet.
Ein freundlicher Parkplatzwächter weist mir den Weg zum ‚EV-Charger‘. Die Zeit an der Ladesäule nutze ich für ein Telefongespräch mit meinen Lieben zuhause. Währenddessen fährt an der anderen Ladesäule ein Elektroauto vor, aus dem zwei Männer aussteigen und ihr Fahrzeug ebenfalls zum Laden anstecken. Als ich mein Telefonat beende, werde ich freundlich um Hilfe bei der Autorisierung an der Ladeeinrichtung gebeten.
Die beiden Männer aus Slowenien sind zum Wandern hier und mit nur noch 3% Restkapazität angekommen. Ad-hoc-Laden scheint nicht zu funktionieren und mangels sonstiger Ladetarife sind die beiden jetzt die, die ‚Irgendwo im Nirgendwo‘ liegen bleiben würden.
Wir verständigen uns darauf, dass ich mit einer meiner Ladekarten den Ladevorgang für das Auto starte. Bezahlt wird im Voraus ein hochgerechneter Betrag von 52 Euro und zur Sicherheit tauschen wir noch Telefonnummern aus. Wie heißt ’s so schön: ‚Jeden Tag eine gute Tat …‘
Mal schauen, ob wir mit den 52 Euro hinkommen. Die Abrechnung dafür sollte ja heute Abend per App da sein. Ich wünsche viel Spaß am Klettersteig und verlasse die beiden in Richtung Slowenien.
Kurz nach dem Lago del Predil erreiche ich den Predilpass, der die Grenze zwischen dem Friaul und Slowenien bildet. Mein eigentlicher Plan wäre, nach einem weiteren Kilometer links abzubiegen und auf den Mangart rauf zu fahren. Die Fahrzeugmenge und aufgestellte Schilder, die auf eine Sperre wegen Überfüllung hinweisen, weißen mir dann aber den Weg weiter runter ins Tal von Loška Koritnica.
Mag schon sein, dass ich auf dem Mangart etwas verpasst habe, aber den hebe ich mir für einen späteren Besuch auf. Ich will ja auch mal wieder kommen.
Bei Bovec biege ich ins Soča Tal ab. Das wurde mir schon beim Abschied vom Hotel Franzenshöhe von anderen Motorradfahrern empfohlen.
Die 20 Kilometer lange Strecke führt direkt an der Soča entlang. Solch einen schönen Fluss mit blaugrünem Wasser habe ich bisher selten erlebt. Wasserfälle, Stromschnellen und enge Felsschluchten formen den Flusslauf. Mich wundert, dass hier nicht mehr Leute unterwegs sind. Das ein oder andere Fahrzeug ist zu sehen. Auch genießen die Menschen den Aufenthalt am Wasser – aber viel los ist wirklich nicht. Beeindruckend.
Die Straße knickt irgendwann mal leicht nach Osten ab und erste Kehren markieren den Start eines weiteren Passes. Der Vršičpass ist der höchste Pass Sloweniens. Hier geht es rauf bis auf 1611 Meter Höhe. Von der Südseite aus lassen sich die 27 Kehren recht zügig fahren. Ein Genuss!
Anders sieht es mit der Nordseite aus. Hier sind die 24 Kehren durchwegs noch aus Zeiten des Ersten Weltkrieges mit Granitsteinen gepflastert. Das trockene Wetter sorgt heute zwar für notwendigen Gripp, aber übertreiben will ich es dann doch nicht.
In einer der Kehren ergibt sich die Möglichkeit rückwärts einen ‚Parkplatz‘ anzufahren. Das ist halt der Vorteil, wenn die Maschine mit Rückwärtsgang ausgestattet ist.
Der Goličica sorgt für eine beeindruckende Kulisse bei den paar Fotos, die ich hier oben mache.
Das Ende dieser schönen Gegend wird am See Jezero Jasna abrupt eingeläutet. In Kranjska Gora befinde ich mich dann wieder im „Hier und Jetzt“. Touristen, Verkehr, alles, was meist so einen schönen Sommertag in den Alpen prägt. Das es aber auch anders geht, das habe ich in den letzten 3 Tagen zuhauf erlebt.
Für mich heißt es nun ‚Abschied nehmen‘ aus Slowenien. Der Wurzenpass führt mich nach Kärnten und dort dann mitten rein in die Zivilisation in Villach. Das Einkaufszentrum ATRIO liegt direkt an der Straße in Richtung Nockberge und so nutze ich dieses um die DSR/X wieder voll zu machen und mir eine Pizza zu gönnen.
Bei der Rückkehr zum Motorrad ergibt sich noch, wie so oft, ein kurzes Gespräch mit einem Elektroautofahrer, der selbst auch Motorrad fährt. Die Ladesäulen sind immer wieder gut für angenehme Gespräche und das Treffen von netten Menschen.
Villach verlasse ich in Richtung Millstätter See, biege bei Puch aber wieder in eine kleine Straße ab, die mich ohne viel Verkehr über Glanz und Sirnitz zum ersten Wegweiser zur Nockalmstraße führt.
Die Gegend hier hat wieder ein ganz anderes Flair, so wie es mir in den vergangen Tagen schon mehrfach ergangen ist. Die Schroffheit weicht sattem Grün, welches sich harmonisch in die Landschaft schmiegt. Kurz nach Ebene Reichenau kommt die Mautstation für die 34 Kilometer lange Straße durch die Nockberge.
Bei der Eisentalhöhe erreiche ich den höchsten Punkt auf 2042 Metern. Hier merke ich auch zum ersten Mal auf meiner Reise, dass Regenschauer unterwegs sind. Ein paar wenige Tropfen und angenehme Temperaturen unter 20°C künden den Wetterumschwung an, der am Sonntagnachmittag auch hier ankommen wird.
Mal schauen, ob ich morgen trocken nach Hause kommen werde. Wobei Regen auch was hat, wenn er nicht gleich sintflutartig vom Himmel fällt.
Am späten Abend bekomme ich dann noch die Abrechnung für die ‚Rettungsaktion‘ der zwei Bergwanderer aus Slowenien. Die Hochrechnung für das Laden ihres Autos war eine Punktlandung. 84 kWh für 53 Euro.
Ich melde mich kurz per WhatsApp. Binnen Minuten kommt folgende Antwort:
„You are awarded for your help. I manage a small hotel in Goriška Brda. You are invited to come there and you will get the room and breakfast for free.
Thank you again.“
Ich denke, alles richtig gemacht. Was für ein perfekter Tag!
Tag 4 – Heimreise
Sonntagmorgen. Ab 7:30 Uhr gibt es Frühstück. Ein erster Blick aus dem Fenster zeigt zwar wolkenverhangen Himmel, aber bis nach Bayern soll es laut Wetterbericht noch trocken bleiben. Mal schauen … ich nehme es wie es kommt.
Die DSR/X hat die Nacht neben der SUR-RON des Hotelbesitzers in dessen Garage verbracht. Charging for free. Vielen Dank dafür!
Um 8 Uhr mache ich mich auf den Weg nach Obertauern. Dass die Beatles hier 1965 den Film „Help“ gedreht haben wusste ich bisher nicht. Sie haben dafür auf jeden Fall ein schönes Denkmal bekommen.
Ein Einhorn grüßt mir noch zum Abschied aus den Alpen. Sonst ist noch nichts los. Alles liegt noch ruhig unter den einzelnen Wolkenfetzen, die sich langsam auflösen.
Nach den ersten 80 Kilometern komme ich in Abtenau an, von wo es auf die Postalm rauf geht. Der Abschied aus den Bergen sieht hier schon nochmal beeindruckend aus. Wieder grüßt weiß-blauer Himmel.
Ich fahre zügig weiter, um der Schlechtwetterfront so gut wie möglich auszukommen. Vorbei geht es an Wolfgangsee, Irrsee, KTM in Mattighofen bis nach Braunau und Simbach am Inn. Hier mache ich Mittag, die DSR/X wird mit Strom versorgt.
Kurz nach Simbach erwischt mich dann doch für 30 Minuten ein Regengebiet. Schotten dicht machen und weiter geht es. Eine letzte kurze Pause noch kurz vor Neustadt an der Donau. Das Wetter hat sich wieder beruhigt. Es sieht so aus, als ob ich die letzten 85 Kilometer noch trocken nach Hause kommen werde.
Die DSR/X, die ich vor 4 Wochen gegen meine treue SR/F getauscht habe, hat mich verlässlich auf den vergangenen 4 Tagen begleitet.
Cool war ’s!
Epilog
Zum Abschluss noch ein paar Zahlen:
- Gefahren bin ich in den vergangen 4 Tagen ziemlich genau 1600 km
- Ladekosten hatte ich dafür 33,73 €
- Das bedeutet, dass ich pro 100 km 2,10 € auf den Tisch legen muss
- Am zweiten und dritten Tag habe ich jeweils zwei Mal geladen – hier aber nicht notwendigerweise von 0 auf 100, sondern immer nur so lange, wie ich selbst auch Pause gemacht habe. Am Anreisetag war wegen der höheren Geschwindigkeit ein zusätzlicher Stopp notwendig. Bei der Rückfahrt bin ich wieder mit zwei Ladestopps ausgekommen, dann aber mit fast leerem Tank zuhause angekommen.
- Die Reichweite der DSR/X in den Bergen liegt bei meiner Reisegeschwindigkeit bei über 220 km
- Der Treibstoff – Benzin, Diesel oder Strom – ist nebensächlich. Es geht immer ums Fahren
Am Ende bin ich jetzt ziemlich geplättet von all den vielen Eindrücken die ich auf meiner Reise durch Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien und Slowenien sammeln durfte.
Ich sehe es als wunderbares Privileg an, dass ich so etwas machen kann und darf.
💫✌
Die meisten Menschen suchen nach Dingen, über die sie sich beschweren können, wie Reichweite, Ladezeit und mehr. Andere ergreifen die Gelegenheit, die Welt mit neuen Dingen und neuen Möglichkeiten zu erkunden. Du gehörst eindeutig zu der zweiten Gattung. Top Bericht, Danke dafür.
Ich war im Juni auch 1800km mit meiner DSRx in den Alpen unterwegs. 2x Timmeljoch, Stiflerjoch und noch weitere Highlights standen auf dem Programm. Alles kein Problem. Weiter so.
Gruß
Klaus
Danke für deinen freundlichen Kommentar.
Vielen Dank fürs Teilhaben! Viele Erinnerungen werden wach …!
Ich war mit meiner SR/F zwei mal in Slovenien und einmal ’nur‘ in den Dolomiten.
Viele der von dir beschriebenen Strecken kenne ich. Tw. habe ich am selben Ort wie du geladen.
Hier ein Bericht meinerseits von meiner ersten Slowenien-Tour:
https://www.toeff-forum.ch/thread/15668-elektrisch-vom-appenzell-nach-slowenien-und-zur%C3%BCck/?postID=267830&highlight=Appenzell%2Bslowenien#post267830
Noch eine Frage zur Ausrüstung: Hast du den Rapid Charger verbaut?
Danke für deinen Kommentar und den Link zur Beschreibung deiner Tour. Schön zu lesen!
Ja, ich habe den RapidCharger verbaut. Hatte den auch schon in meiner SR/F und möchte ihn nicht missen. Die höchste Ladeleistung bekommt man zwar nur bis etwa 60-70%, danach bricht die Leistung doch ziemlich ein, wenn man das aber weiß und den Ladehub daran anpasst, dann kommt man doch um einiges schneller an den Ladesäulen weiter.